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Pyramide von Tirana (AL)

Pyramide von Tirana (AL)
Die Diktatur mit Füßen treten

Das frühere Museum für den Diktator Enver Hoxha dient heute als Kultur- und Jugendzentrum. Mit farbigen Boxen trieben MVRDV dem Marmorbau die Monumentalität aus, mit einem begehbaren Dach schufen sie einen beliebten Treff mit Blick über die Stadt.

Architektur: MVRDV | iRI Architecture
Tragwerksplanung: ARUP; Gentian Lipe; Luan Murtaj

Text: Tanja Feil
Fotos: Ossip van Duivenbode

Die sogenannte Pyramide stammt aus dem Jahr 1988. Sie war Albaniens teuerstes Bauwerk der kommunistischen Ära und gleichzeitig architektonisches Abbild des Kults um die Person Enver Hoxhas. Auf annähernd ovalem Grundriss errichtet, präsentiert sie sich mit schrägen Dachrippen auf der Vorder- und vertikalen Fassaden auf der Rückseite. Nach dem Sturz des Regimes 1990 bot das einstige Nationalmonument Raum für unterschiedlichste Nutzungen wie etwa ein Kongresszentrum, eine Rundfunkstation oder einen Nachtclub, während des Kosovo-Kriegs diente es gar als NATO-Basis. Damit einher gingen vielfältige Umgestaltungen, die v. a. den Innenraum verbauten und immer dunkler werden ließen. In den 2010er Jahren beschloss die Regierung den Abriss des Gebäudes, Proteste von Anwohner:innen verhinderten dies jedoch. So blieb die Pyramide zwar bestehen, verfiel aber zusehends. In einer Umfrage von 2015 sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung für deren Erhalt aus, da sie nicht mehr als Gedenkstätte für den verhassten Diktator, sondern als Wahrzeichen Tiranas wahrgenommen werde.

Spiel mit Farben und Formen

2017 einigte man sich auf eine neue Nutzung. Sie sollte besonders der Jugend zugutekommen, die sich das Gebäude ohnehin längst angeeignet hatte – als beliebten Treffpunkt, Sprayfläche für Graffiti und nicht zuletzt als riskanten Abenteuerspielplatz: Man kletterte gerne hoch und rutschte auf den schrägen Glasflächen wieder nach unten.

Entstanden ist nun ein Kultur- und Hightechzentrum inmitten eines kleinen Parks mit 48 unterschiedlich dimensionierten, farbig gestrichenen Boxen, die teilweise wie Legosteine übereinander gestapelt sind. Rund die Hälfte davon ist öffentlich zugänglich und hält Mietflächen für Gastronomie, Veranstaltungen, Start-ups, Ateliers, Werkstätten und Ähnliches vor. Der Rest blieb jedoch einem besonderen Bildungsangebot der gemeinnützigen Einrichtung TUMO vorbehalten, die darin 12- bis 18-Jährige nach der Schule kostenlos in zukunftsfähigen Techniken wie Programmierung, Robotik, Animation und Film unterrichtet.

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Aufnahme aus dem Jahr 1996 (Bild: Brosen, Wikimedia)

Die bunten Kisten breiten sich vom Gebäudeinnern bis in den Außenraum aus, was die in die Umgebung ausstrahlende Energie des Komplexes veranschaulichen soll. Dabei bilden die Farben nach Aussage der Architekt:innen das Spektrum des Regenbogens nach und variieren von kräftigeren Tönen im Innern und auf dem Dach bis hin zu pastelligen Nuancen im Park. Eine Reminiszenz an die (im Westen) überbordenden Farben der 1980er Jahre, in denen der Bau entstand? Oder eher eine Anlehnung an die zeitgenössische Architektur Tiranas, die sich neben Mussolini-Klassizismus, schweren Betonstrukturen und Postostblock-Modernität überraschend farbenfroh, gewagt und futuristisch zeigt? Vielleicht auch einfach eine Weiterführung der Handschrift des ehemaligen Bürgermeisters der Hauptstadt und heutigen albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama; selbst Künstler, ließ er nach dem Ende des Kommunismus die grauen Wohnblocks in leuchtenden Bunttönen streichen, um ein Zeichen des Aufbruchs zu setzen.

Freilegen, aber nicht überdecken

Beim Umbau der Pyramide entfernten MVRDV die Glaspartien in Dach und Fassade und öffneten das Gebäude dadurch nach außen. Das Innere entkernten sie und bewahrten nur die alte Betonstruktur. Um die unterste Ebene besser mit dem Eingangsgeschoss verbinden zu können, brachen sie hier den Atriumboden ab. Die teils eingestellten, teils abgehängten Boxen, die das neue Raumprogramm aufnehmen, wurden weitestgehend so platziert, dass sie an vorhandene Treppen und Podeste anschließen konnten. Die Planer:innen hatten die Kuben ursprünglich aus Holz konstruieren wollen, mussten wegen der Erdbebensicherheit jedoch auf verputzten Beton ausweichen. Statische Prüfungen zeigten, dass die tragende Bestandskonstruktion so überdimensioniert war, dass es für die baulichen Ergänzungen weder einer Verstärkung der Fundamente noch der Wände und Dachbalken bedurfte. Um das Mikroklima innerhalb der Pyramide besser kontrollieren zu können, fügte das Planungsteam neue Raumabschlüsse in Form von horizontalen Glasklappen aus transparentem Sonnenschutz- und Sicherheitsglas ein. Das Gebäudeinnere wird weder beheizt noch gekühlt, lediglich die Boxen sind klimatisiert.

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Aufnahme aus dem Jahr 2014 (Bild: Diego Delso, Wikimedia)

Damit die Geschichte des Bauwerks ablesbar bleibt, wurden lose oder gebrochene Elemente innerhalb der Betonfassade und Innenwandoberflächen entfernt, aber nicht groß ausgebessert. Auch umbaubedingte Aussparungen bei den alten Marmorbekleidungen ergänzte man nicht. Zuletzt erhielten sowohl die Fassaden als auch der Innenraum einen einheitlichen Anstrich in einem neutralen eierschalenfarbenen Ton, die Betonböden wurden abgeschliffen, für einen besseren Schallschutz bekamen die Deckenuntersichten eine akustisch wirksame Schicht aufgespritzt. Bestehende Fluchtwege stattete man mit neuen Brandschutztüren aus, im gesamten Innern erhöht jetzt ferner ein Sprinklersystem die Sicherheit.

Tyrannenmonument wird Volksdenkmal

Der größte Coup ist MVRDV wohl mit der Treppenstruktur gelungen, die sie über den Bau legten. Sie gibt der früheren Spontannutzung durch die Stadtjugend nun einen baulichen Rahmen. Wer heute das Gebäude erklimmen möchte, kann dies auf bequeme und v. a. sichere Art tun. Auf der Westseite gibt es sogar einen Lift, der nach oben zum Aussichtsplateau führt. Damit wird die Pyramide für alle Generationen zugänglich, Senior:innen sind hier genauso anzutreffen wie Familien mit kleinen Kindern. Zwischen all den neuen Stufen, Verbindungstreppen und Plattformen, die sich über das Dach der Pyramide ziehen, ist allerdings auch eine glatte Rampe verblieben, auf der man weiterhin hinunterrutschen kann. Zu Beginn des Umbaus fehlte bereits ein Großteil des weißen Marmors, mit dem das Gebäude früher bekleidet war – viele der verbliebenen Fliesen waren lose oder zerbrochen. Das Planungsteam ließ diese zerkleinern und als Zuschlag für die aufgesetzten neuen Betonstufen und -schrägen des Daches verwenden. Nach dem Abschleifen der Oberflächen kam somit wieder ein Teil des früheren Glanzes zum Vorschein.

All die begehbaren Elemente, die dem ehemaligem Museum für Enver Hoxha aufgesetzt wurden, haben nicht nur einen neuen öffentlichen Raum geschaffen, sondern sind zugleich von einer besonderen Symbolik: Sie erlauben den Menschen, der Diktatur förmlich aufs Dach zu steigen.


Standort: 8RFC+7J, Rruga Dervish Hima 21, Tirana 1001 (AL)
Bauherr: Albanian-American Development Foundation (AADF)
Architekten: MVRDV, Rotterdam; iRI Architects, Tirana
Tragwerksplanung: ARUP, London; Gentian Lipe, Tirana; Luan Murtaj, Tirana
Denkmalschutz: Daniel Gjoni
Bebaute Fläche: 11 835 m²



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