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Historische Fensterkonstruktionen

Historische Fensterkonstruktionen
Die Augen des Hauses

Setzhölzer und Stützkloben, Espagnoletten und Ruder, Schwengel und Wolfsrachen: Für das Bauteil Fenster wurden über die Jahrhunderte immer komplexere Gefügesysteme entwickelt. Ein kurzer Überblick.

Text: Christian Kayser und Peter Kifinger
Fotos: Christian Kayser, Peter Kifinger u. a

Die Anlage eines Fensters teilt sich in die rahmende Fassung und den Verschluss der Binnenfläche. Eine wesentliche, und für seine Ausbildung grundlegende konstruktive Differenzierung ergibt sich durch die optionale Öffnungsfähigkeit. Im einfachsten Fall also: Entweder eine Öffnung in einer Holzhütte, in die eine geschabte Tierhaut genagelt wird. Oder ein Lichtschlitz in der Mauer eines Burgturmes, in den im Winter eine Holztafel eingesetzt wird. Die Tierhaut benötigt lediglich eine dauerhafte Befestigung; die Holztafel dagegen eine bewegliche, temporäre Arretierung, etwa einen in die Mauerflanken eingekeilten Querriegel.

Fenster mit unbeweglichen Verschlüssen

Zu den unbeweglichen Fensterverschlüssen zählen etwa die meisten Kirchenfenster, bei denen schon im Hochmittelalter die aus Buntglaselementen gefügten Tafeln mit Keilen in einer umlaufenden steinernen Nut befestigt wurden. Aus diesen einfachen Konstruktionen entwickelten sich schließlich die aufwendigen Maßwerkfenster der Gotik. Sie gehören zu den schönsten und anspruchsvollsten spätgotischen Konstruktionen überhaupt und hatten mit Flächen von teils über 100 m2 auch Ausmaße, die erst mit neuzeitlichen Pfosten-Riegel-Fassaden wieder erreicht wurden. Bei Maßwerkfenstern bestanden die »Rahmen« aus einem komplexen Gefüge steinerner Pfosten und ergänzender Quereisen (Abb. 2).

In der entwickelten Form des Spätmittelalters dienten die Eisen dabei als Sekundärträger, an denen die Glastafeln mithilfe von Schienen befestigt wurden; die Steinpfosten bildeten dabei die Hauptträger. Diese prachtvollen Fenstersysteme wirkten wiederum in den Profanbau zurück. So finden sich zunächst in den Sälen von Fürstenschlössern und schließlich auch in den Stadthäusern wohlhabender Bürgersfamilien Fenster mit Steinteilungen (Abb. 1).

Fenster mit beweglichen Verschlüssen

In einer steinernen Fassung lassen sich die Tafeln der Fensterverschlüsse befestigen, doch ist die Verwirklichung beweglicher Flügel schwierig. Das klassische Fenstergefüge ist daher üblicherweise eine Holzkonstruktion aus drei Bestandteilen: Rahmen, Flügeln, Beschlägen.

Rahmen
Der Rahmen bildet als unbeweglicher Teil der Fensterkonstruktion den Anschluss zur umgebenden Baukonstruktion aus Holz oder Stein, ebenso ist er aber auch das Tragelement, an dem die Flügel befestigt werden. Je nach Art der anschließenden Konstruktion gibt es drei unterschiedliche Rahmenformen: Bei einem Blockrahmen, dem sog. Fensterstock, handelt es sich um eine eigenständig-stabile Konstruktion aus kräftigen Kanthölzern. Der Blendrahmen aus Leisten bildet dagegen kein eigenständiges »Tragwerk«, sondern wird auf das tragende Gefüge im Fachwerk- bzw. Blockbau, aber auch auf steinerne Gewände aufgesetzt; er bildet den Übergang vom Rohbau zum präziseren Ausbau. Ein Zargenrahmen aus breiten Brettern oder Bohlen kann in die Fläche der Mauerlaibung eingesetzt werden, wie der Blendrahmen benötigt er eine kleinteiligere Anbindung an die umgebende Tragstruktur. Ihre häufigste Verwendung fanden solche Zargenrahmen beim Kastenfenster (s. u.).

Bei großen Fensteröffnungen genügt das einfache Rechteck des Stockrahmens nicht. Da die Größen der Glastafeln beschränkt waren, vor allem aber auch, weil Handhabbarkeit und Mechanik der Fensteröffnung kleinere Bedieneinheiten erforderten, mussten Binnenteilungen eingefügt werden: vertikale Pfosten, sogenannte Setzhölzer, und horizontale Riegel, als Kämpfer bezeichnet. Ein durchlaufendes Setzholz und ein Kämpfer auf halber Höhe oder am oberen Drittelspunkt bilden das bereits im Spätmittelalter aufkommende Kreuzstockfenster (Abb. 3).

Flügel und Beschläge
Die einfachste Form der beweglichen Fensterfüllung ist der Einsatzflügel, der in den umlaufenden Falz des Rahmens eingesetzt und arretiert wird, oder der Schiebeflügel mit Laufschienen. Gegen diese etwas archaischen Formen setzte sich schließlich der Dreh- bzw. Aufschlagflügel durch. Möglich wurde dies durch die Entwicklung geschmiedeter Fensterbeschläge. Die für die Drehbewegung wesentlichen Gelenke sind, analog zu historischen Türbeschlägen, meist mit einem Kloben (einem nach oben zeigenden Zapfen) ausgebildet, auf den ein am Flügelrahmen befestigtes Band mit einer Öse aufgesetzt wird. Den Kloben, der das Gewicht des Flügels trägt, stützt meist eine kleine Metallstrebe (»Stützkloben«). Während dieses Beschlagwerk in Renaissance und Barock häufig reich verziert wurde, kommen ab dem späten 18. Jahrhundert Fitschenbänder (die Vorläufer der heutigen Einbohrbänder) zum Einsatz, die mit in das Holz eingeschlitzten Lappenblechen befestigt werden und optisch weniger in Erscheinung treten.

Die Holzverbindungen der Flügelrahmen durften sich nicht verziehen, um sich dauerhaft passgenau und damit dicht in die Falze einschwenken zu lassen. Als Verstärkung des fragilen Rahmenwerks wurden daher L- oder T-förmige Winkel aufgenagelt (Abb. 4). Sie konnten als Ornament ausgestaltet werden und ließen sich mit den Bändern kombinieren – die so gebildete Fügung aus Stützkloben und aufgesetzten Eckwinkelbändern bildet von der frühen Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die übliche Form des Fensterscharniers.

Verschlussmechanismen
Ihr »Gegenstück« ist der Fensterverschluss an der Öffnungsflanke des Flügels. Lange Zeit wurde dies mit sog. (Vor-)Reibern gelöst, an den vertikalen Stockhölzern befestigte Drehverschlüsse, die den Flügel gegen den Rahmen fixieren. Ein Komfortproblem ergibt sich bei höheren Fensterflügeln, für die mehrere Reiber angebracht werden mussten.

Abhilfe schafften ab ca. 1700 die Stangenverriegelungen. Bei der älteren Form des »spanischen« Verschlusses (Espagnolette) ist auf der Flügelinnenseite eine vertikale, drehbare Rundstange mit Haken an den Enden angebracht. Für die Arretierung des Flügels wird die Stange um ihre Achse gedreht; die Haken greifen in Ösen ein und ziehen das Fenster zu. Die Bedienung erfolgt über einen Hebel, das »Ruder«, das nach erfolgter Drehung zusätzlich in einen Haken am Setzholz oder am anderen Flügel eingeschwenkt wird. Ähnlich auch der Schwengelverschluss: Bei ihm wird die Stange nicht über ein Ruder gedreht, sondern über einen Hebel (Schwengel) vertikal verschoben – am unteren Ende wird sie so in eine Öffnung eingeschoben, am oberen Ende greift ein Haken in eine Öse.

Eine raffinierte Weiterentwicklung, der Baskülverschluss (Abb. 5), setzt sich aus zwei Stangenabschnitten von jeweils halber Flügelhöhe zusammen, die von einem Drehknauf mit einer Zahnrad- oder Hebelkonstruktion zugleich vertikal nach oben bzw. unten in ein Gegenstück ausgeschoben werden und den Flügel so arretieren. Mit der immer kompakteren Bauform der mechanischen Umlenkung ließen sich ab dem 19. Jahrhundert auch verdeckt im Flügelrahmen eingebaute, innenliegende Fenstergetriebe realisieren.

Stulpfenster
Die Entwicklung der Stangenverschlüsse ermöglichte zudem eine Modifikation des Rahmens: Während die älteren Reiber ein festes Pfostenelement als Gegenstück erforderten, konnten nun die Flügel über die Stangen unmittelbar an der Brüstung bzw. an dem oberen Stockholz/Kämpfer befestigt werden, das mittige Setzholz wurde obsolet. Die Öffnungsflügel wurden nun einfach mit einer Positiv-Negativ-Falzform ineinander eingeschwenkt, meist als Doppelfalz mit der Form eines »Z« angelegt. Innen und außen aufgesetzte Schlagleisten dichten den Falz gegen Zugluft ab und bilden mit diesem einen aufwendig profilierten Überschlag, den sog. Stulp.

Eine Variante ist der im 18. Jahrhundert entwickelte »Wolfsrachen«, im Horizontalschnitt eine Kombination aus halbrunder Flügel-Außenkante und konkaver Negativform, die, zwangsarretiert, ineinander gleiten (Abb. 6).

Fenster mit zwei Ebenen

Fenster sind bauphysikalische Schwachstellen der Gebäudehülle – größere Fensterflächen erfordern daher zusätzliche Dämmmaßnahmen. Zur thermischen Ertüchtigung der dünnen Holz-Glasgefüge in der kalten Jahreszeit entwickelte man schon im 16. Jahrhundert »Winterfenster«; eigenständig am Gebäude zu befestigende Fensterelemente, die temporär außen den eigentlichen Fenstergefügen vorgesetzt wurden (Abb. 7). Das zwischen beiden Fensterebenen »gefangene« stehende Luftvolumen bildet eine gute Isolierung. Allerdings waren die meist in der Ebene der Außenfassade unbeweglich eingesetzten Winterfenster nicht eben nutzerfreundlich und konnten leicht bei Ein- und Ausbau sowie sommerlicher Zwischenlagerung beschädigt werden.

Die sogenannten Doppelfenster sind »ganzjährige« Winterfenster, an deren etwas tieferen Rahmen beidseitig Falz und Beschläge angelegt sind, sodass sich außen noch einmal Flügel befestigen ließen. Die Öffnung erfolgte gegensinnig – Innenfenster nach innen, Außenfenster nach außen. Die in der Handhabung etwas unpraktische Bauform prägt mit den vor der Fassadenebene liegenden Fensterflügeln bis heute das Erscheinungsbild zahlreicher Gebäude v. a. im österreichischen Raum (Abb. 8).

Aus dem Doppelfenster entwickelte sich das bis heute geläufige Kastenfenster (Abb. 9) aus zwei eigenständigen, meist in Zargenform miteinander verbundenen Fensterrahmen. Bei dem verbreitetsten Typ, dem »Berliner Fenster«, schlagen beide Fensterebenen nach innen auf und sind so auch raumseitig gut bedienbar. Die gleichsinnige Öffenbarkeit aller Flügel nach innen bedingt, dass die äußeren Rahmen und Flügel geringfügig kleiner sind als jene der inneren Fensterebene.

Einen Sonderfall bildet schließlich das Verbundfenster, bei dem zwei miteinander verbundene Flügel an einem Rahmen befestigt sind, also zunächst ein »komprimiertes Kastenfenster«. Diese Fensterform entwickelte sich ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert in verschiedenen, herstellerabhängigen Varianten, vom »Braunfenster« mit zwei eigenständigen Flügeln, die über aufwendige Beschläge mitenander gekoppelt sind, bis hin zu den Fenstersystemen »Wagner« oder »Rekord« mit fest verbundenen Flügeln – bei ihnen handelt es sich um Vorläufer heutiger Mehrscheibenverglasungen.

Der weiteren Entwicklung komplexer, mehrlagiger Fensterkonstruktionen setzte die Erfindung des Isolierglases ein Ende – und die offensichtlichen Vorzüge des neuen Produkts führten leider auch zu Austausch und Verlust vieler historischer Fenster. Forschung und Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigten allerdings, dass sich historische Fenstergefüge mit vertretbarem Aufwand energetisch ertüchtigen lassen. Gerade Konstruktionen wie Doppel- oder Kastenfenster erzielen so gute Dämmwerte, dass diese Bauweisen inzwischen ein Comeback erfuhren. Auch einlagige historische Fenster lassen sich mit einer zweiten Fensterebene effizient und additiv »aufrüsten«.


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