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Forsthaus »Maison de la Forêt« in Carcassonne | PAUEM Atelier

Die Essenz von Holz
Forsthaus »Maison de la Forêt« in Carcassonne

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Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Architektur: PAUEM Atelier

Kritik: Roland Pawlitschko
Fotos: Mary Gaudin

Um es gleich vorwegzunehmen: La Maison de la Forêt – das Haus des Waldes – liegt nicht im Wald, sondern am Rand eines ausufernden Gewerbegebiets  mit Lagerhallen, Autowerkstätten, einem Shoppingcenter und Schnellrestaurants. Dennoch haben die Forsttechniker der kleinen Holzgenossenschaft Cosylva beim Blick aus den großen Fenstern ihrer neuen Büros das Gefühl, auf eine idyllische Waldlichtung zu schauen. Dieser Kunstgriff gelang dem Architekturbüro, indem es den Gebäudewinkel so auf dem Grundstück platzierte, dass er das Gewerbegebiet auf subtile Weise ausblendet. Charakteristisch für  den Entwurf ist auch die ästhetische Inszenierung von Holz als natürlicher, sinnlicher Baustoff – vollkommen ohne Leim, Lasuren und industrielle Beschichtungen.

Lange bevor er sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort machte, war für Philippe Gamet, Geschäftsführer von Cosylva und Bauherr, klar, dass das Haus des Waldes ein Holzhaus sein würde. Schließlich zählt die Waldbewirtschaftung in den Privatwäldern der südfranzösischen Departements Aude, Tarn, Hérault, Ariège und Pyrénées-Orientales zu den Hauptaufgaben der Genossenschaft. Sie berät Waldbesitzer:innen, plant und realisiert gemeinsam mit ihnen Waldarbeiten und Holzfällungen und vermarktet das geschlagene Holz.

Ausschlaggebend für die Wahl dieses Standorts am westlichen Stadtrand von Carcassonne waren der waldartige Baumbestand im Südteil des Grundstücks, dem im Norden eine einst als Autowaschplatz genutzte Brachfläche gegenüberstand. Dafür sprach aber auch, dass er sich unweit der Wohnorte der Mitarbeiter:innen und zugleich in der Nähe der Wälder befindet, die sie betreuen. Nicht zuletzt, weil die Genossenschaft hier immer wieder Mitglieder und Gäste empfangen würde, die es von der ganzheitlichen Qualität ihrer Arbeit zu überzeugen gilt, wollte Gamet mit dem Neubau beispielhaft gleichsam die Essenz des Baustoffs Holz präsentieren. Aus diesem Grund initiierte er 2019 einen geladenen Wettbewerb für Teams aus Architekt:innen und Zimmerer:innen aus der Region. Das Raumprogramm umfasste neben sieben Einzelbüros auch einen großzügigen Empfangsbereich, Sanitärräume mit Dusche sowie einen Besprechungsraum.

Spektakulär unprätentiös

Der Wettbewerbsbeitrag von PAUEM Atelier vereint die Bedürfnisse der Genossenschaft und die Eigenheiten des Grundstücks zu einer architektonischen Symbiose. Resultat ist ein eingeschossiger Gebäudewinkel mit gleich langen Seitenflügeln und einem Eingang an der Außenecke. Diesen Winkel platzierten die Architekten – ohne einen Baum fällen zu müssen – so auf dem dreieckigen Grundstück, dass sowohl ein großzügiger Vorplatz mit gedeckten Parkplätzen als auch ein abgeschirmter Hof entstanden.

Nord- und Ostfassaden verfügen über hoch liegende Bandfenster, die keine Einblicke gewähren. Dass die Fassaden dennoch nicht abweisend wirken, ist den feinen vertikalen Zinkblechstreifen zu verdanken, deren unterschiedlich breite Felder eine dezente Eleganz ausstrahlen und zugleich Hinweise auf die schottenartige Tragwerksstruktur geben. Die eher hermetische Blechfassade harmoniert dabei gut mit den umliegenden Gewerbebauten, sodass das Holzhaus bei Ankunft auf dem Gelände zunächst nicht kunstvoll elaboriert erscheint, obwohl es das in Wirklichkeit ist, sondern angenehm unprätentiös und selbstverständlich in sein Umfeld eingebettet.

Nach Passieren des gedeckten Eingangsbereichs eröffnet sich ankommenden Gästen ein faszinierendes Schauspiel. Sie verlassen die sich noch eben in der Glastür spiegelnde Wüste belangloser Lager- und Verkaufsbauten und betreten eine liebevoll in warmem Holz gestaltete Welt. Der erste Eindruck: Das unwillkürlich als behaglich empfundene Gebäudeinnere verfügt über wesentlich mehr Tageslicht als gedacht. Ursache hierfür sind die hoch liegenden Fenster in den Außenwänden der beiden Erschließungsflure entlang der Blechfassade sowie die großflächige Verglasung sämtlicher Innenräume in Richtung des Hofs. Hinzu kommt eine herrlich klare Grundrissgestaltung, durch die sich unmittelbar die Grundriss- und Tragwerksstruktur erschließen. Sofort ablesbar sind beispielsweise die 2,45 m breiten Raumachsen – alle 4,90 m sind abwechselnd die in den Flur ragenden Untergurte der Dach-Fachwerkträger bzw. die Stirnseiten von Sichtbetonwänden zu erkennen, die gemeinsam das zum Hof abfallende Pultdach tragen. Die Betonwände dienen als Aussteifungselemente und Speichermasse und verbessern den Schallschutz zwischen den Büros. Gleichzeitig stehen sie im angenehmen Kontrast zu den allgegenwärtigen Holzoberflächen.

Nachhaltig und beispielhaft bis ins Detail

Teil des Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanspruchs, den PAUEM Atelier und Bauherr gleichermaßen verfolgen, sind der ausschließliche Einsatz von unverleimtem, auch im Außenbereich gänzlich unbehandeltem Vollholz und die mit minutiöser Präzision durchkomponierten und umgesetzten Details. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Holzstütze am Eingang, die in einer dreidimensionalen Verschränkung mit dem Sichtbetonfuß zu verschmelzen scheint. Um dieses skulpturale Detail realisieren zu können, entwickelten und bauten Pauline Chauvet und Emanuele Moro einen Schalungskörper aus Holz, der das exakte Gegenstück zur Holzstütze bilden musste. Die kraftschlüssige Verbindung dieser Materialien erwies sich als echte Herausforderung, da sie sich aufgrund völlig unterschiedlicher Toleranzbereiche (Millimeter versus Zentimeter) üblicherweise kaum je so eng aneinanderschmiegen wie hier. Minimale Toleranzen gab es auch bei den in den Gebäudeachsen direkt auf den Sichtbetonwänden aufliegenden Holzbalken, was – weil die Architekt:innen generell auf kaschierende Deckleisten verzichteten – eine extrem hohe Präzision beim Gießen der geneigten Ortbetonkanten erforderte.

Konstruktive Bauteile bestehen im ganzen Gebäude grundsätzlich aus Douglasie – jenem hochtragfähigen Holz aus den Wäldern rund um Carcassonne, für dessen Pflanzung sich Cosylva bei den Waldbauern besonders stark macht. Sämtliche Bauteilverbindungen sind zimmermannsmäßig und stets mit minimalem Schraubenanteil ausgeführt. Douglasienholz findet sich z. B.  in den Dach-Fachwerkträgern, in der Holzständerkonstruktion der gipskartonbekleideten Bürotrennwände oder in den als Rahmenkonstruktion vorgefertigten Außenwand- oder Dachelementen. Erforderliche Aussteifungen erfolgen dabei nicht etwa mit industriellen OSB-Platten, sondern mittels diagonal aufgebrachter Bretterschalungen.

Natürliche Materialien waren für die Architekt:innen auch bei der Wärmedämmung des Bereichs unter der Betonbodenplatte selbstverständlich. Hier setzten sie auf Platten aus portugiesischer Korkeiche – ein Material, das zwar  über ideale Druck- und Wasserfestigkeitseigenschaften, nicht aber über  eine französische Zulassung für diesen Anwendungsfall verfügt. Überzeugt von der dauerhaften Materialperformance von Kork übernahmen die Architekt:innen kurzerhand selbst die Verantwortung. Als Dachdämmung wählten sie Holzwolle.

Verschiedene Holzarten als Einheit

Neben dem Konstruktionsholz aus Douglasie kamen gemäß ihrer spezifischen Eigenschaften noch einige weitere Holzarten zum Einsatz. Der Parkettboden beispielsweise wurde ebenso wie die sämtlich von PAUEM Atelier entworfenen Einbaumöbel und Tische in Eichenholz ausgeführt. Und die Fensterrahmen und Wandbekleidungen der Innenräume sowie die Fassade und der Boden der gedeckten Veranda bestehen aus verschiedenen Arten von Lärchenholz. Die dabei entstehende Variationsbreite zeigt Gästen und Genossenschaftsmitgliedern beispielhaft die vielfältigen Farbtöne, Oberflächen und Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Holzarten. Die Veranda dient zugleich als Musterbeispiel für den konstruktiven Sonnen- und Holzschutz.

Die Einzigartigkeit dieses Projekts liegt nicht zuletzt in der kongenialen Zusammenarbeit zwischen den Architekt:innen und Philippe Gamet, dem Planungsprozesse so vertraut sind wie die heimischen Wälder und der Baustoff Holz. Cosylva bezog daher das meiste Bauholz direkt aus den von seinen Mitgliedern bewirtschafteten Forsten, während die Weiterverarbeitung in Partnerbetrieben erfolgte, sodass die Transportwege des Holzes meist weniger als 30 km betrugen. Hinzu kommt jene Poesie der Präzision, mit der sich Pauline Chauvet und Emanuele Moro jeder noch so kleinen Einzelheit des Hauses widmeten. Beispielsweise bauten sie 1:1-Modelle der geschwungenen Büroschreibtische in den Rohbau ein, um deren ergonomische Eignung für die nur 9 m² großen Büros zu testen. Eine solche Sorgfalt, die weniger Pedanterie als vielmehr Ausdruck einer Liebe zur Architektur ist, zeigt sich auch in dem aus den Anfangsbuchstaben der Architektenvornamen zusammengesetzten Büronamen PAUEM, der im Französischen wie »poème« – Gedicht – ausgesprochen wird. Welch eine Poesie.


Kaum hatte der Bauherr Philippe Gamet dieses Foto von Pauline Chauvet und Emanuele Moro von PAUEM Atelier sowie unserem Autor Roland Pawlitschko (links) gemacht, fand die abendliche Führung durch das bemerkenswert feinsinnige Gebäude ihren lockeren Ausklang bei einer Flasche Weißwein.


  • Standort: 550 rue Antoine Durand, 11000 Carcassonne (F)
    Bauherrschaft: Société coopérative des sylviculteurs de l’Aude – COSYLVA
    Architektur: Pauline Chauvet et Emanuele Moro – PAUEM Atelier, Carcassonne
    Tragwerksplanung Holz: Vincent Batut, BIM.B, Montauban
    Tragwerksplanung Stahlbeton: Stéphane Company, ECG, Narbonne
    HLS-Planung: Alan Biard, CITÉ, Carcassonne
    Überbaute Fläche: 207 m² Hauptgebäude, 35 m² Werkstatt, 100 m² Carport
    Baukosten: 775 000 Euro (inkl. Möblierung und Außenanlagen)
    Bauzeit: April 2019 bis April 2022

PAUEM Atelier


Pauline Chauvet

Architekturstudium an der École nationale supérieure d’architecture de Nancy und an der Faculdade de Arquitectura da Universidade do Porto, 2012 Diplom. 2012-15 Mitarbeit im atelier de l’architecte Carrilho da Graça, Lissabon. Seit 2017 Büro mit Emanuele Moro. 2024 Lehrauftrag an der École nationale d’architecture de Toulouse.


Emanuele Moro

A rchitekturstudium am Politecnico di Milan und Faculdade de Arquitectura da Universidade do Porto, 2011 Diplom. 2012 Mitarbeit im atelier de Alvaro Negrell, Porto. 2013 Mitarbeit im atelier de l’architecte Carrilho da Graça, Lissabon. 2013 Lehrauftrag an der Università Iuav di Venezia. Seit 2017 Büro mit Pauline Chauvet.


Roland Pawlitschko

Architekturstudium in Karlsruhe und Wien. Architekturtheoretische Arbeiten, Ausstellungen und Architekturführungen. Seit 1999 Architekt und freier Autor in München.

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